Göttingen in Niedersachsen: historische Sternwarte
Göttingen in Niedersachsen: historische Sternwarte

„Meine denkwürdigsten Kunden“
Martin Bach erinnert sich

Es war vor gut zehn Jahren, als wir begannen Deutschland-Reisen für Amerikaner anzubieten. Wir hatten dafür eigens einen Amerikaner eingestellt: Dr. Jerry Crippen, einen geistreichen Germanisten, der die Reisen liebevoll ausgearbeitet und beschrieben hat. Die Reisebeispiele hießen „Romantic Road“ oder „Three European Capitals: from Berlin via Prague to Vienna“.

Besonders stolz waren wir auf unsere „Cold War Tour“, die zu Schauplätzen der Nachkriegszeit führte und bei Angehörigen der US Army beliebt war. Am meisten gefragt war allerdings immer Bayern. 90 Prozent aller amerikanischen Kunden wollten ins Hofbräuhaus, Neuschwanstein sehen, das BMW-Museum oder das Allianz-Stadion. Es war immer ein Kampf, sie davon zu überzeugen, dass Deutschland mehr ist als Bavaria.

Einmal, als Jerry in Urlaub war und ich ihn vertreten musste, kam wieder so eine Anfrage rein: „Romantic Road“ für eine vierköpfige Familie, vesehen mit einer Zusatzbemerkung der Interessentin, dass Göttingen in der Tour enthalten sein musste. Nun liegt Göttingen nicht gerade an der Romantischen Straße und ohne eine Verlängerung um ein paar Tage, die ausdrücklich nicht gewünscht war, würde daraus keine sinnvolle Reise entstehen. So riet ich ihnen von Göttingen ab.

Die Antwort kam prompt: Doch, Göttingen müsste sein, dort habe einer ihrer Vorfahren an der Sternwarte gearbeitet. Zum ersten Mal nahm ich ihren Namen wahr und war gleich elektrisiert: „Gaus“. Mit einem einfachen „S“ zwar, aber immerhin. Sollte besagter Vorfahre vielleicht jener Carl Friedrich Gauß gewesen sein, der die Mathematik mit seiner nichteuklidischen Geometrie revolutioniert und zahllose Schüler zur Verzweiflung gebracht hat?

Carl Friedrich Gauss (1777 - 1855)
Carl Friedrich Gauss (1777 - 1855)

Er war es. Und ganz nebenbei hatte der geniale Urahn auch die Göttinger Sternwarte gebaut. Das war ein toller Grund, eine Reise über Göttingen zu planen. Rothenburg wurde also rausgestrichen. Stattdessen ein Besuch in der Sternwarte eingeplant. Leider war die an dem fraglichen Tag geschlossen. Doch als ich der Leiterin sagte, dass Nachfahren von Gauß zu Besuch kämen, ließ sie es sich nicht nehmen, die Familie persönlich zu führen.

Hinterher bekam ich einen rührenden Brief von Mrs Gaus. Sie war unendlich dankbar für diese Erfahrung. Bislang hätten sie wenig über ihren Vorfahren gewusst und sich nicht groß für die eigene Herkunft interessiert. Doch nachdem die Söhne im Sessel der Urahnen Platz genommen haben, hätten sie ein neues Bild von ihrer Familiengeschichte und letztlich von sich selbst gewonnen.

Wie schön, dachte ich. Genau dafür ist Umfulana da.

Veröffentlicht am Freitag, 11. Juni 2021