
Rote Telefonhäuschen und Briefkästen wie in London, Läden von Marks & Spencer und Takeaways mit Fish n‘ Chips: Die Rede ist von Gibraltar, einem Felsen ganz im Süden von Spanien. Sechs Quadratkilometer klein ist das Gebiet. Strategische Bedeutung hat der Fels wegen seiner Lage zwischen dem Atlantik und dem Mittelmeer und zwischen Europa und Afrika. Im Jahre 1704 war es, als – angeblich während einer Siesta der spanischen Armee – eine englisch-holländische Flotte auf Gibraltar landete und die Halbinsel eroberte.
Während sich alte englische Männer seit Generationen über die Geschichte vom spanischen Mittagsschlaf amüsieren, sinnen spanische alte Männer seit Jahrhunderten auf Rache. Erst die Europäische Union ließ den Streit in Vergessenheit geraten. Doch nun wittern die Spanier eine Gelegenheit zur Revanche. Großbritannien verabschiedet sich aus der EU, was die Spanier ermuntert, alte Ansprüche auf den Felsen neu zu stellen. Schon kreuzen spanische Boote provokativ vor der Halbinsel und werden von britischen Patrouillen verjagt. Ein Tory-Abgeordneter zieht bereits Vergleiche zum Falkland-Krieg. Geht’s noch?
Zeit, einmal genauer hinzuschauen: was ist Gibraltar, wer wohnt da? Die Bewohner sprechen Spanisch, aber die Amtssprache ist Englisch. Sie haben einen britischen Pass und wollen ihn mehrheitlich behalten. Andrerseits haben sie aber mit überwältigender Mehrheit gegen den Brexit gestimmt und sind überzeugte Europäer. Sie sind mehrheitlich katholisch. Ihr Bischof aber gehört zur Anglikanischen Kirche. Gibraltar hat keinen Gouverneur, sondern einen Bürgermeister. Seit einigen Tagen sogar eine glamouröse Bürgermeisterin, die 30-jährige Kaiane Lopez, die schon einmal Miss World war.

Einerseits ist Gibraltar eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Erde. Über 5.000 Einwohner teilen sich einen Quadratkilometer. Andrerseits gibt es einen unbesiedelten Nationalpark, den Upper Rock. Der Affenfelsen ist der einzige Ort in Europa, wo Affen freilebend vorkommen. Die Herkunft der Tiere ist nicht genau geklärt. Wahrscheinlich sind die Berberaffen irgendwann aus Marokko eingeführt worden. Als der Affenstamm wegen Inzucht zu kränkeln begann, ließ Winston Churchill neue Berberaffen einführen. Mit Erfolg. Wer sich den Affen nähert, merkt schnell, wie vital sie sind und wie skrupellos sie klauen können.

Doch Gibraltar hat noch andere Sehenswürdigkeiten. Die Gorham-Höhle gehörte zu den letzten Rückzugsorten der Neandertaler vor 27.000 Jahren, wie zahlreiche Funde belegen. Daneben gibt es Tunnel und Geschützanlagen aus dem Zweiten Weltkrieg. Hauptanziehungspunkt ist aber die Main Street, wo im Schatten der Cathedral of the Holy Trinity jede Menge zollfreier Alkohol und Zigaretten umgesetzt wird. Neben den vier orthodoxen Synagogen gibt es die Ibrahim-al-Ibrahim-Moschee, eine der größten in einem nicht-islamischen Land.
Tatsächlich: mit seinen Widersprüchen und Gegensätzen ist Gibraltar eine Reise wert. Wer sowieso nach Andalusien fährt, sollte sich den skurrilen Felsen einmal anschauen – zumindest solange er noch kein Visum benötigt und Passkontrollen noch nicht zu langen Schlangen führen.