
Ewige Schönheit am Fuß des Ätna
Azurblaues Meer und ein schneebedeckter Vulkan
Paris 1863: Auf einer Kunstausstellung macht das Bild eines Berliner Malers Furore: Es zeigt die Ruinen eines griechischen Tempels in einem Hain blühender Mandelbäume. Den Hintergrund teilen sich ein azurblaues Meer und ein schneebedeckter Vulkan. Die Pariser Kunstkritiker konnten nicht glauben, dass es so etwas gibt.
Vom Zipfel des Paradieses …
Doch der Maler, Otto Geleng, beteuert, dass sein Bild keine Phantasie ist. „Kommt im Frühjahr nach Taormina, und wenn mein Bild dann nicht der Realität entspricht, werde ich euch die Fahrtkosten ersetzen!“
Und sie kamen. Und niemand forderte sein Reisegeld zurück. Bald schon musste nach Taormina, das bislang nur über Maultierpfade zu erreichen war, eine neue Straße gebaut werden. In Giardini Naxos entstand ein glänzender Bahnhof im Art-Deco-Stil. Ein Direktzug von London über Paris brachte englische Könige, die Rothschilds, Literaten und Filmstars nach Taormina. Hotels und Pensionen entstanden. Die Gäste kamen nicht nur für ein, zwei Nächte. Viele überwinterten am „Zipfel des Paradieses“ mehrere Monate oder blieben gleich ganz.
Einer von ihnen war der Fotograf Wilhelm von Gloeden. Der Sohn eines mecklenburgischen Offiziers war ein Schöngeist und lungenkrank. Er träumte von einem Ort, wo die Menschen unbelastet von mühsamer Arbeit und militärischem Drill in einer idyllischen Natur als zufriedene und glückliche Hirten lebten. Auf Sizilien fand er sein „mythisches Arkadien“. Auch das unverkrampfte Verhältnis zur Nacktheit – damals waren sizilianische Kinder meist nackt – mag für den Homosexuellen eine Erlösung von der deutschen Körperfeindlichkeit und Prüderie gewesen sein.
… zum Ferienort des europäischen Adels
Von Gloeden eröffnete ein Atelier in Taormina, in dem er Studien von nackten und lorbeerbekränzten Jünglingen ausstellte. Es fand Eingang in den Baedeker und bald betraten Prominente sein Atelier, darunter Oskar Wilde, der „Kanonenkönig“ Friedrich Krupp und schließlich sogar Kaiser Wilhelm II. Doch während von Gloeden von einfachen Hirten träumte, entwickelte sich Taormina auch dank seiner Fotografien zu einem mondänen Ferienort für die Reichen und Schönen.

Auch Otto Geleng blieb. Wilhelm II. erhob ihn in den Adelstand. Die Bürger von Taormina wählten ihn zum Bürgermeister. Fast hundertjährig starb er 1939 in seiner Villa mit Blick auf den Ätna.
Heute gibt es in Taormina weder antike Hirtenromantik noch mondänes Flair. Mit über einer Millionen Übernachtungen ist Taormina die touristische Hochburg auf Sizilien. Es gibt Pizzerien, Ansichtskarten, Nippes und T-Shirts aus Fernost. Dennoch lohnt ein Besuch, denn der Anblick des Tempels in einem Hain blühender Mandelbäume ist noch derselbe wie vor 150 Jahren. Den Hintergrund teilen sich immer noch ein azurblaues Meer und ein schneebedeckter Vulkan.
Unser Übernachtungstipp: eine Casa in Taormina
Zwischen Kunstgemälden, verwitterten Statuen und einem Blumenmeer liegt die altehrwürdige Villa mit etwas Patina und viel Charme, die beinahe wie ein Museum wirkt. Tatsächlich dient ein Teil des Hauses als Museum, durch das Francesco, der freundliche Besitzer, ab und an Führungen anbietet. Von der Terrasse und dem märchenhaften Garten blickt man über die Bucht von Taormina und bis zum Etna. Und beim Frühstück wird man für italienische Verhältnisse ungewöhnlich verwöhnt.

