
Kein Vietnamese erwartet von Touristen die Beachtung aller Regeln und Tabus. Doch die Übertretung manch heiliger Gesetze wird selbst Fremden verübelt, auch wenn das häufig hinter einem freundlichen Lächeln verborgen wird. Werden die wichtigsten Grundsätze jedoch respektiert, können auch schroffe „kulturelle Klippen“ mühelos umschifft werden.
„Das Gesicht wahren“
Was immer ein Vietnamese tut, sagt oder lässt, wird daran gemessen, ob er und sein Gegenüber „das Gesicht wahren“. Mit „Gesicht“ ist dabei nicht das Antlitz gemeint, sondern die Würde des Einzelnen. Wer sie antastet, begeht die schwerste Beleidigung, die auch einem Fremden nicht verziehen wird. Im gesamten zwischenmenschlichen Bereich ist man stets darauf bedacht, Rücksicht auf die Gefühle anderer zu nehmen. Als ganz besonders unfein gilt es, Konflikte jeglicher Art, die eine Kompromittierung darstellen könnte, offen auszutragen. Aber auch eine harmlose Art der Bloßstellung kann zu einem „Gesichtsverlust“ führen – Beispiel: Sie bitten einen Vietnamesen um eine Auskunft. Kann er Ihnen weiterhelfen, so ist alles in Ordnung. Ist dies jedoch nicht der Fall, so droht ihm ein „Gesichtsverlust“. Um sich keine Blöße zu geben, wird er Ihnen vielleicht eine falsche Auskunft geben, sich wortlos von Ihnen abwenden oder die Frage einfach ignorieren und sie freundlich anlächeln.
Gespräche
Auf Konfrontation ausgerichtete Diskussionen entsprechen nicht dem naturell der Vietnamesen, denn ihre Wesensart ist auf dezente, Konflikt vermeidende Zwischentöne gestimmt. Europäer sind es meist gewohnt, die Dinge beim Namen zu nennen und zu sagen, was ihnen gerade in den Sinn kommt. Vietnamesen vermeiden solche Direktheit. Themen, die ein gewisses Konfliktpotential in sich bergen (vor allem Politik) werden besonders bei zufälligen Gesprächen in der Regel von vornherein ausgeklammert.
Ja oder Nein
Wenn ein Europäer „ja“ oder „nein“ sagt, ist das meist relativ konsequent gemeint. Vietnamesen aber empfinden ein (höfliches) „Ja“ oder „Nein“ als weniger folgenschwer, weniger verbindlich. Die Beantwortung einer Frage mit „ja“ bedeutet also noch lange nicht, dass der Sprechende wirklich „ja“ meint. Oftmals muss man im Verlauf des Gesprächs mit viel Feingefühl und tastenden Fragen versuchen, die wirkliche Meinung des Betreffenden herauszufinden. Eine für Europäer, die direkte Gespräche gewohnt sind, meist recht schwierige Übung. Bedenken Sie auch, dass lautes Reden als grober Höflichkeitsverstoß empfunden wird, dass aber bedächtiges Reden die Bedeutung dessen, was man sagen möchte, noch unterstreicht.

Körpersprache
Beim Reden sollte man das Gestikulieren vermeiden, denn manche unser westlichen Gesten haben in Vietnam eine andere, mitunter obszöne Bedeutung. So wird auch die Angewohnheit beim Gespräch aufrecht stehend die Hände in die Hüften zu stützen oder Arme vor der Brust zu verschränken, oft als Beleidigung empfunden, denn diese Haltung wird von Vietnamesen als Herausforderung und Arroganz interpretiert. Ebenso unhöflich ist es, mit dem Finger auf eine Person zu deuten oder jemanden durch das Krümmen eines Fingers herbeizurufen. Um eine Person oder ein Taxi herbeizurufen, winkt man bei ausgestrecktem Arm mit nach unten gerichteten Fingern und hält dabei den Handrücken nach oben gerichtet.
Kopf und Füße
Eine grobe Beleidigung ist die Missachtung des Kopf- und Fußtabus. Der Kopf ist ein heiliger Körperteil, gilt er doch als Wohnsitz von Geist und Seele. Er ist (auch bei Kindern!) damit nicht nur unantastbar, sondern sollte von einem Jüngeren oder Rangniedrigeren nach Möglichkeit auch nicht überragt werden. Gehen Vietnamesen an sitzenden Menschen vorbei, nehmen sie, vor allem wenn es sich um ältere und zu respektierenden Menschen handelt, eine gebückte Haltung ein, um ihre Ehrerbietung zu bezeugen. Dagegen gelten die Füße als niederer Körperteil sowie als Geschmacklosigkeit, wenn jemand beim Sitzen die Fußsohlen auf andere Menschen oder gar Buddha-Statuen und andere heilige Symbole richtet.