
Kerstin Pesch und Annabelle Walter unterwegs im Oman
Eine Reise zwischen Vergangenheit und Gegenwart
Der Duft von Weihrauch liegt in der Luft; der Kaffee schmeckt mild, mit einer Note von Kardamom. Kerstin lächelt, als sie mir eine Nachricht vorliest, die sie soeben von einer Freundin erhalten hat, die ein paar unserer Reisefotos gesehen hat. „In welchem Zauberland seid ihr denn unterwegs?“ schreibt die Freundin. Tatsächlich haben wir uns das auch schon das ein oder andere Mal gefragt. Aber fangen wir einmal von vorne an.
Der Oman ist eines jener Länder, in denen sich Lebensqualität und -erwartung in den letzten 40 Jahren immens gesteigert hat – stärker als in nahezu allen anderen Ländern, die von der UN auf dem sogenannten Human Development Index aufgeführt werden. Den Grundstein dieser Entwicklung legte der unblutige Putsch von 1970, bei dem Sultan Qaboos bin Said die ultra-konservative Regierung seines Vaters beendete und das Land mit Investitionen in das Bildungswesen, die Infrastruktur und das Gesundheitssystem Schritt für Schritt in die Moderne führte. Sultan Qaboos ist mittlerweile verstorben; dennoch scheint der Fortschrittswille ungebrochen. Auf einer 17-tägigen Rundreise haben wir das Land am Golf von Oman entdeckt. Dabei führt unsere Route von Muscat aus in die Wüste und durch das Gebirge wieder zurück. Anschließend folgen Abstecher nach Musandam im Norden sowie Salalah im Süden. Dabei wollen wir herausfinden, ob die fortschreitende Entwicklung hier, in der Heimat des mythischen Seefahrers Sindbad, noch etwas Ursprünglichkeit, ein wenig Tausendundeine Nacht-Magie, übriggelassen hat.
Unsere Reise beginnt mit einem etwa sechsstündigen Flug ab Frankfurt. Wir starten gegen zehn Uhr in Frankfurt und erreichen Muscat, aufgrund der Zeitverschiebung von drei Stunden, am frühen Abend. Kerstin war schon einmal im Oman. Allerdings vor mehr als zehn Jahren. Ich bereise das Sultanat zum ersten Mal. Als die Maschine auf dem Rollfeld aufsetzt und sich gemächlich zum Terminal schiebt, sind wir also beide sehr gespannt, was uns in den nächsten Wochen erwarten wird.

Die ersten drei Tage verbringen wir in der Hauptstadt, wo Besuche bei Hotels und Gästehäusern sowie klassisches Sightseeing auf dem Programm stehen. Wir spazieren entlang der Corniche und besuchen den Souq, der sich – zu Kerstins Ernüchterung und meiner Erleichterung – deutlich ruhiger und geordneter präsentiert als die quirligen, bunten Märkte Marokkos. Wir bestaunen das Royal Opera House und die Große Moschee – eindrucksvolle Prachtbauten, die unter der Herrschaft von Sultan Qaboos errichtet wurden. Ebenjener begegnet uns auch stetig. Zur Vorbereitung des Nationalfeiertags zieren Portraits des alten und neuen Herrschers – stets Seite an Seite – Girlanden, Hauswände und alle möglichen anderen Objekte. Am letzten Abend, als wir gemeinsam auf der Dachterrasse unseres kleinen Gästehauses sitzen, halten wir fest: Muscat begeistert uns. Allerdings auf eine andere Art, als wir erwartet hätten. Es gibt wenig Nostalgisches, keine Arabischen Nächte aus dem Bilderbuch. Stattdessen haben wir uns in einen Ort verliebt, der ganz authentisch er selbst ist: eine arabische Großstadt, die weder den Glitzermetropolen wie Dubai oder Abu Dhabi noch den märchenhaften Königsstädten Marokkos ähnelt. Man liebt den Fortschritt, den die letzten Jahrzehnte gebracht haben, und dieses Lebensgefühl ist im städtischen Alltag quasi omnipräsent.

Von Muscat geht es entlang der Küste über Ras Al Jinz in die Wahiba Sands, eine Wüstenlandschaft im Osten des Landes, die eine Fläche von rund 12.500 Quadratkilometern bedeckt. Über eine lokale Agentur haben wir eine Übernachtung in einem privaten Camp gebucht. Wie überall im Land üblich werden wir auch hier zunächst mit Kaffee, Tee und Datteln empfangen, bevor wir uns auf den Weg in die Wüste machen – und der führt viel tiefer hinein, als wir gedacht hatten. Schnell verlassen wir die erkennbaren Wege und fahren von nun an eine gute Stunde quer über die Dünen. Dabei fährt der Guide mit seinem eigenen Wagen voraus, denn das Camp auf eigene Faust zu finden, ist unmöglich. Nach Ankunft bleibt uns ein wenig Zeit, um uns vor Einbruch der Dunkelheit und dem Abendessen in aller Ruhe einzurichten. Und als dann langsam das Abendrot über dem Meer aus goldenen Dünen einer glitzernden Sternenkuppel weicht, finden wir zum ersten Mal, wonach wir gesucht haben: den überweltlichen Zauber von Tausendundeiner Nacht, wo von Abermilliarden Sandkörnern die Erinnerung an jene Karawanen bewahrt wird, die hier einst durchgezogen sind.

Diese Dualität, zwischen dem modernen Leben auf der einen und den fast unberührten Naturlandschaften auf der anderen Seite, bleibt dann auch für den Rest der Reise bestimmend. Von der Wüste führt uns der Weg ins Gebirge, das von breiten, modernen Straßen in weiten Teilen gut erschlossen ist. Auch hier gibt es jedoch noch abgeschiedene Winkel, wo die karge Berglandschaft ihre Geheimnisse bewahrt hat. Und so verbringen wir die Nacht in einem verlassenen Bergdorf, das vor langer Zeit in den Fels geschlagen und nun mit viel Liebe zu einer Unterkunft umgestaltet wurde. Obwohl wir auch hier den Komfort von Strom und fließendem Wasser genießen, formt sich in unseren Gedanken eine Vorstellung davon, wie das Leben hier in den Bergen einst ausgesehen haben muss.

Nach dem Gebirge tauchen wir in Misfat Al Abriyeen landschaftlich wieder in eine ganz andere Welt ein. Die historischen, in den Stein geschlagenen Kanäle sind noch immer die Lebensadern des Dorfes. Um sie erstreckt sich ein von Menschenhand geschaffener Paradiesgarten. Palmen und Zitronenbäume drängen sich auf terrassierten Plattformen, die von verschlungenen Fußpfaden erschlossen werden. Die Wege sind ausgetreten, die steilen Treppen sind, wenn überhaupt, nur mit provisorischen Geländern versehen.

Auch das ist ein Stück der Authentizität, die sich der Oman bewahrt hat. So gut wie nie sind die Wege an etwaige touristische Bedürfnisse angepasst. So klettert man eben auch mal über Gesteinsbrocken, zwängt sich durch schmale Felsspalten oder watet durch knietiefes Wasser, um die ein oder andere Sehenswürdigkeit zu erreichen – für uns ein kleines Abenteuer, für die Omanis ganz selbstverständlich. Eine entsprechend unbeholfene Figur machen wir also auch hin und wieder an Stellen, die unsere omanischen Guides stets grazil und ohne ins Schwitzen zu kommen meistern… Lohnend ist die Mühe allemal. Denn auch der bemerkenswerte Kontrast der Landschaften ist bezeichnend für eine Reise durch den Oman. Immer wieder überrascht der Wüstenstaat, inmitten seiner Einöde, mit Orten, die man sich schöner nicht hätte ausdenken können. Diese werden gezeichnet von satten Farben, von leuchtendem Smaragdgrün, glühendem Orange und tiefem Ozeanblau.

Während wir in Muscat noch recht viele Reisende getroffen haben, sind wir im Rest des Landes oft ganz allein auf weiter Flur. So halten wir einmal zum Beispiel am Wegesrand an, um an einem menschenleeren Strand die Möwen zu beobachten und die Füße vom angenehm warmen Meer umspülen zu lassen. Ein anderes Mal erkunden wir auf eigene Faust einen Canyon, der vom letzten kurzen Regenfall noch teilweise geflutet ist. So müssen wir immer wieder aus dem Auto steigen, um den weiteren Weg auszuloten, zu überlegen, ob wir uns noch weiter hineinwagen oder ob das Risiko stecken zu bleiben vielleicht doch zu groß ist.

In der einsamen Fjordwelt von Musandam übernachten wir unter dem funkelnden Sternenzelt an Deck einer kleinen Dhau, sanft gewiegt von Wind und Wasser, und in der gebirgsgleichen Sandlandschaft der Rub-Al-Khali spazieren wir über die gewundenen Dünenkämme. Die Frage, ob der Oman trotz seiner Fortschrittlichkeit noch Abenteuer und den Zauber von Tausendundeiner Nacht bereithält, stellen wir uns schon lange nicht mehr. Immer wieder wird unser Entdeckergeist geweckt und immer wieder müssen wir innehalten und staunen. Und auch die orientalische Gastfreundschaft, die schon den Beduinen als „heilige Pflicht“ galt, wird uns überall entgegengebracht und schafft den Raum für eine ganz persönliche Begegnung mit Land und Leuten. Für uns steht auf jeden Fall fest: es wird nicht die letzte Reise in dieses „Zauberland“ sein, In sha'Allah.
