
Etwa anderthalb Stunden südlich von Marrakesch liegt das Bergführerdorf Imlil. Auf dem Weg dorthin passiert man viele kleine Dörfer, in denen sich das vom Tourismus unbeeinflusste, traditionell-marokkanische Leben abspielt. Auf dem letzten Straßenabschnitt hoch nach Imlil wird ein erster Geschmack dessen geboten, was einen weiter oben im Atlasgebirge erwartet: weite Aussichten über das Gletschertal und immer karger werdende Landschaften.
In Imlil angekommen, wartet direkt die erste Überraschung auf mich: Die Unterkunft Kasbah du Toubkal ist lediglich zu Fuß erreichbar. Den Mietwagen stelle ich im Ort ab und ein Maultier trägt mein Gepäck zur Unterkunft.

Am nächsten Morgen geht es dann los: Der Toubkal, der höchste Berg zwischen Mont Blanc und Kilimandscharo, möchte erklommen werden. An einem einzigen Tag ist dieses Unterfangen unmöglich, weswegen eine Zwischenübernachtung auf der Mouflonhütte eingeplant wird. Gemeinsam mit Mohammed – meinem persönlichen Bergführer – sowie einem Koch und einem Maultier erreichen wir nach etwa fünf bis sechs Stunden diese Schutzhütte, die allen Toubkal-Begeisterten Unterschlupf gewährt. Alpen-Erfahrene wissen: Von einer Berghütte ist zwar kein Komfort zu erwarten, aber den benötigt man in den Bergen auch irgendwie nicht. Die Mouflonhütte stellt keine Ausnahme dar: Es ist dunkel, kühl, es gibt Gemeinschaftsbäder, der Handyempfang ist spärlich, weswegen das Gewicht eines guten Buches sicherlich eine sinnvolle Investition ist. Aber es gibt warmes Essen am Abend, ein Dach über dem Kopf und eine mehr oder weniger gemütliche Matratze.

Um 4:30 Uhr gibt es am nächsten Morgen Frühstück, sodass um 5:00 Uhr – in völliger Dunkelheit – der Aufstieg beginnt. Mit entsprechender Montur ausgestattet (Steigeisen, Wanderstöcke, Stirnlampe, warme Klamotten) durchqueren wir große Schnee- und Gletscherfelder, über die der nächtlich kalte Wind hinwegfegt. In der Nacht hat es geschneit, sodass wir uns erst den Weg bahnen müssen – ein Unterfangen, was ohne Bergführer unmöglich scheint. Der erste magische Moment, derer es auf dieser Exkursion viele gibt, ist der Sonnenaufgang. Mit Anbruch des Tages erkennt man die unheimliche Schönheit, aber auch die gewaltige Kraft der umliegenden, 4.000 Meter hohen Berge. Ich bin versucht, alle hundert Meter stehenzubleiben und Fotos zu machen, da sich das Licht minütlich ändert. Der pfeifende Wind und die kalte Luft hindern mich jedoch daran, meine Handschuhe auszuziehen, um das Smartphone aus der Tasche zu kramen.

Nach etwa drei Stunden steilen Aufstiegs über Schnee, Gletscher, Fels und Geröll haben wir es endlich geschafft: Gemeinsam mit anderen erfolgreichen Bergsteigern genießen wir die unglaubliche Aussicht, die sich bei idealen Bedingungen im Norden bis nach Marrakesch und im Südosten bis in die Sahara erstreckt. Ich befinde mich irgendwo zwischen völliger Erschöpfung und glückseliger Euphorie.
Nach einer kurzen Pause und einer kleinen Stärkung in der Mouflonhütte geht es bis zur Unterkunft nach Imlil hinunter, wo ein wohlverdienter, warmer Pfefferminztee und ein traditionell-marokkanisches Hamam die physischen Belastungen der letzten zwei Tage kurieren. Mit einer tiefen Zufriedenheit lasse ich den restlichen Tag in typischer Umfulana-Manier ausklingen.
